WirtschaftsWoche | Text SASKIA LITTMANN
Elternzeit, Elterngeld, Partnerschaftsbonus – werdenden Eltern fällt der Überblick über Finanzhilfen schwer. Wer sich nicht auskennt, verschenkt Geld. Wie Mütter und Väter das Maximum herausholen.
Spätestens 2017, als sein dritter Sohn geboren wurde, war Niko Nesselrath klar, dass sich etwas ändern musste. Zwar hatten er und seine Frau bereits bei den ersten beiden Kindern Elterngeld beantragt und auch bekommen. Aber nun waren Vorschriften und Formulare schon wieder andere. Und für Selbstständige wie Nesselrath ist der Antrag auf den staatlichen Erziehungsobolus ohnehin komplizierter als für Angestellte.
Der Mehrfachpapa, als Finanzberater eigentlich in Geldfragen gut informiert, suchte daher nach fachkundiger Beratung. „Aber keiner in meiner Nähe konnte mich ausreichend unterstützen“, erinnert er sich. Er beschloss, daran etwas zu ändern, und gründet die Elterngeldhelden. Das achtköpfige Team berät werdende Eltern in ganz Deutschland zum Thema Elterngeld, vor Ort oder per Videochat. Für einmalig 129 Euro wird gemeinsam der maximale Elterngeldanspruch berechnet. Wer 70 Euro obendrauf legt, für den füllen die Elterngeldhelden auch noch den Antrag aus. Gerade in komplizierten Fällen kann sich diese Investition lohnen. Denn Paare, die nicht richtig rechnen oder nicht über alle Möglichkeiten Bescheid wissen, verschenken womöglich Geld. Das Elterngeld ist zwar laut der ehemaligen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) die „bekannteste und beliebteste Familienleistung Deutschlands“. Die einfachste ist es aber sicher nicht. Basis oder Plus? Klar ist: Die staatliche Elternhilfe ist gefragt wie nie. 2021 bekamen 1,9 Millionen Männer und Frauen in Deutschland Elterngeld – 16 Prozent mehr als fünf Jahre zuvor. Immerhin ein Viertel des Elterngelds wird mittlerweile von Vätern bezogen. Die mit Abstand beliebteste Variante ist das Basiselterngeld. Mamas oder Papas bekommen dabei nach der Geburt ihres Kindes bis zu zwölf Monate lang rund 65 Prozent ihres Nettogehalts, maximal 1800 Euro. Nimmt der andere Partner ebenfalls mindestens zwei Monate Elternzeit, verlängert sich der Anspruch auf 14 Monate.
Etwas komplizierter wird es beim Elterngeld Plus. Statt einen Monat Basiseltern geld können Eltern zwei Monate lang die Plus-Variante beziehen. Sie bekommen dann monatlich die Hälfte des Basiselterngeldes. Die Höhe der Auszahlung halbiert sich also, während sich die Auszahlungsdauer verdoppelt. Ziehen beide Elternteile mit, werden so aus maximal 14 Monaten bis zu 28 Monate, in denen Elterngeld fließt.Elterngeld Plus eignet sich vor allem für Väter und Mütter, die während der Elternzeit in Teilzeit arbeiten wollen. Bis zu 32 Wochenstunden sind erlaubt. Eltern, die bereits 14 Monate Basiselterngeld bezogen haben, können noch einmal bis zu vier Monate Elterngeld Plus dranhängen: den sogenanntenPartnerschaftsbonus. In dieser Zeit dürfen sie je zwischen 24 und 32 Wochenstunden arbeiten.
Als wäre das nicht schon umständlich genug, wird das Elterngeld immer wieder reformiert. Hat man beim ersten Kind einigermaßen verstanden, wie es geht, kann beim zweiten schon wieder alles anders sein. Vor zwei Jahren wurde beim Elterngeld einmal mehr nachjustiert. Eltern dürfen seitdem 32 statt wie zuvor nur 30 Stunden pro Woche in Teilzeit arbeiten und dabei Elterngeld beziehen. Auch der Partnerschaftsbonus ist flexibler geworden. Unsere fiktiven Fallbeispiele illustrieren die wichtigsten Punkte.
Das Steuerklassendilemma
Ehepaar Schmidt erwartet sein erstes Kind. Beide werdenden Eltern sind fest angestellt. Sobald der kleine Oscar auf der Welt ist, will sich zunächst Frau Schmidt ein Jahr lang um ihn kümmern. Danach soll Herr Schmidt übernehmen und Oscar zwei Monate lang bei der Eingewöhnung in der Kita begleiten. Ehepaar Schmidt kommt so zusammen auf 14 Monate Basiselterngeld. Im Anschluss wollen die Schmidts vier Monate in Teilzeit arbeiten, maximal 32 Stunden pro Woche, und Oscar abwechselnd betreuen. In dieser Zeit steht ihnen über den Partnerbonus Elterngeld Plus zu. So weit, so klar. Trotzdem haben auch die Schmidts bereits Geld verschenkt. Weil Herr Schmidt mit 100 000 Euro Bruttogehalt im Jahr deutlich mehr verdient als seine Frau (55 000 Euro brutto), haben die beiden die bei Ehepaaren beliebten Steuerklassen drei und fünf gewählt. Frau Schmidt wird nach Klasse fünf besteuert, ihre Abzüge sind entsprechend hoch. Was dank Ehegattensplitting bisher kein Problem war, brockt Frau Schmidt beim Elterngeld allerdings ein dickes Minus ein. Das richtet sich nämlich nicht nach dem Brutto-, sondern nach dem Nettoeinkommen.
„Wer die Geburtsurkunde hat, sollte den Antrag auf Elterngeld möglichst schnell abschicken“
NIKO NESSELRATH, Gründer der Beratung Elterngeldhelden
Um dieses Problem zu umgehen, hätte Ehepaar Schmidt rechtzeitig die Steuerklassen wechseln müssen. „Eigentlich müsste man direkt beim Finanzamt anrufen, sobald der Schwangerschaftstest positiv ausfällt“, sagt Nesselrath. Viele werdende Eltern würden ihn in der Beratung nach dem Thema Steuerklasse fragen, erzählt er. „Für die allermeisten ist es dann aber schon zu spät zum Wechseln.“
Der Fiskus will, dass Ehepartner ihre Steuerklasse spätestens sieben Monate vor dem Monat wechseln, in dem die Frau in Mutterschutz geht. Der beginnt bei Angestellten normalerweise sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Wer also im März Nachwuchs erwartet, hätte im Juli des Vorjahres die Steuerklasse wechseln müssen, um den Elterngeldanspruch zu maximieren. Nur wer den Höchstbetrag von 1800 Euro pro Monat bekommt, kann es sich leisten, das Steuerthema zu ignorieren.
Die Selbstständigenfalle
Ehepaar Lehmann erwartet bereits das zweite Kind. Eines haben die Lehmanns dabei schon richtig gemacht: Sie haben ihre Kinder schnell hintereinander bekommen. Solange das große Kind keine drei Jahre alt ist, bekommen die Lehmanns nämlich jeden Monat einen Geschwisterbonus von zehn Prozent auf das Elterngeld – mindestens 75 Euro beim Basiselterngeld. Wer den Höchstsatz von 1800 Euro kassiert, bekommt also immerhin 180 Euro mehr pro Monat. Für Frau Lehmann war der Rest des Elterngeldantrags allerdings nicht mehr so erfreulich. Sie ist selbstständige Autorin. Im Gegensatz zu ihrem Mann, einem fest angestellten Rechtsanwalt, benötigte sie deutlich mehr Zeit, um den Antrag auszufüllen. Schon der Bemessungszeitraum ist ein anderer: Während bei Herrn Lehmann das Nettogehalt der vergangenen zwölf Monate vor der Geburt des zweiten Kindes zählt, sind es bei Frau Lehmann ihre Einkünfte im letzten Wirtschaftsjahr – in der Regel das Kalenderjahr vor der Geburt. Wird das Baby also 2023 geboren, wird das Elterngeld anhand des Gewinns von 2022 berechnet. Frau Lehmann hat Glück, sie hat im Vorjahr viele Texte verkauft und gut verdient. Insbesondere für Gründerinnen, deren Unternehmen steigende Gewinne ausweisen, ist die Regelung nachteilig.
Honorar schmälert Elterngeld
Axel Pöppel rät Selbstständigen sogar hin und wieder davon ab, Elterngeld zu beantragen. Der Familienvater hat als Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei selbst erlebt, wie hoch der Aufwand für Selbstständige ist. „Für zwei Monate lohnt sich das einfach nicht“, sagt er. Es beginne schon damit, dass Ausgaben und Einnahmen für den Antrag von einem Steuerberater bescheinigt werden müssen. Ist der Antrag erst einmal genehmigt, lauern weitere Fallen: „Selbstständige Eltern müssen höllisch darauf achten, dass sie während des Elterngeldbezugs keine Zuflüsse haben“, sagt Pöppel. Auch Rechnungen dürften nicht ausgestellt werden. Frau Lehmann hat dafür gesorgt, dass ihre Auftraggeber sie vor der Geburt bezahlen. Bekäme sie danach noch Honorare, würden diese vom Elterngeld abgezogen. Wer einen gewissen finanziellen Spielraum hat, kann einzelne Monate auf Elterngeld verzichten oder es vom Partner beziehen lassen. Das geht auch nachträglich. Bis zu drei Monate rückwirkend kann Elterngeld beantragt oder geändert werden. Wer also im Nachhinein noch etwas umverteilen will, hat die Chance dazu. Für Gesellschafter einer gemeinschaftlichen Kanzlei oder Arztpraxis hat Arbeitsrechtler Pöppel einen anderen Ausweg: „Wer während des Elterngeldes auf seinen Gewinnanteil verzichtet, muss keine Kürzungen befürchten.“ Betroffene müssen ausrechnen, ob sich der Verzicht fürs Elterngeld lohnt.
Die Krux mit dem Dienstwagen
Auch Herr Lehmann will Elternzeit nehmen und beantragt drei Monate Basiselterngeld. Weil er als Anwalt gut verdient, bekommt er den monatlichen Höchstsatz von 1800 Euro. Trotzdem muss auch er aufpassen, kein Geld zu verschenken. Grund dafür ist sein Dienstwagen. Eigentlich wirkt sich dieser positiv auf das Elterngeld aus. Denn die Lehmanns dürfen den Wagen auch privat nutzen. Dieser geldwerte Vorteil erhöht das Gehalt und damit die Berechnungsgrundlage für das Elterngeld. Da Herr Lehmann auch ohne Auto den Höchstsatz bekommt, spielt das für ihn allerdings keine Rolle. Stattdessen wird der Dienstwagen plötzlich zum Nachteil. Denn während das Elterngeld fließt, gilt der geldwerte Vorteil als Arbeitslohn – und wird auf das Elterngeld angerechnet. Familie Lehmann muss also ausrechnen, ob sich die privaten Fahrten mit dem Dienstwagen lohnen. Womöglich wäre Carsharing günstiger. Geringer werden die Abzüge von Herrn Lehmann, wenn er statt Basiselterngeld Elterngeld Plus beantragt.
Fallstrick für Unverheiratete
Knapp jedes dritte Kind kommt in Deutschland unehelich zur Welt. Unverheiratete haben gegenüber Ehepaaren kaum Nachteile in Sachen Elternzeit und Elterngeld. Wer schon vor der Geburt die Vaterschaft anerkennen lässt und sich das Sorgerecht teilt, wird genauso behandelt wie Verheiratete. Selbst Väter, die kein Sorgerecht haben, können Elterngeld beziehen, wenn die sorgeberechtigte Mutter auf dem Antrag unterschreibt. Einen finanziellen Nachteil können Unverheiratete aber doch haben: Dann nämlich, wenn sie freiwillig gesetzlich krankenversichert sind. Anders als Verheiratete können sie sich in diesem Fall während der Elternzeit nicht beitragsfrei über die Familienversicherung absichern.
Wer den Antrag – mittlerweile umfasst das bundesweite Formular stattliche 24 Seiten – ausgefüllt hat, den warnt Berater Nesselrath vor Euphorie: Je nach Wohnort und Personaldecke in den Ämtern müssen Eltern teils mit mehrmonatigen Wartezeiten rechnen, bis das Elterngeld endlich fließt. Für viele Familien ist das ein enormer finanzieller Spagat. Oft müssen private Kredite her, um die Zeit zu überbrücken. „Wer die Geburtsurkunde bekommen hat, sollte den Antrag möglichst schnell abschicken“, rät Nesselrath. Dumm nur, wenn auch die Geburtsurkunde wegen Personalmangels auf dem Amt monatelang auf sich warten lässt.